„Die Simulation über einen digitalen Zwilling wird sich im Zertifizierungsprozess durchsetzen“

Interview mit Dr. Robert Hranitzky, CTO der tofmotion GmbH

spotguard ist eine einsatzbereite safety Lösung bestehend aus Hard- & Software, die sich mittlerweile schon in zahlreichen Anwendungen in der Industrie bewährt. © tofmotion
Dr. Robert Hranitzky, CTO der tofmotion GmbH, arbeitet an Simulationen der ToF-Kameras seines Unternehmens. © tofmotion

18.03.2022

Die Zertifizierung von neuen Technologien ist mit erheblichen Testaufwand verbunden – vor allem, wenn es um sicherheitsrelevante Anwendungsgebiete geht. Das österreichische Start-up tofmotion mit software office im Softwarepark Hagenberg geht deshalb neue Wege: Ein digitaler Zwilling der innovativen ToF-3D Kameras soll virtuelle Simulationen ermöglichen, die zu einer schnelleren Validierung beitragen und die time2market der industrial safety Lösungen von tofmotion deutlich verkürzen. tofmotion CTO Dr. Robert Hranitzky erläutert im Interview, wie das konkret funktioniert.

Herr Hranitzky, würden Sie Ihr Unternehmen einmal kurz vorstellen? 

tofmotion bietet hochqualitative ToF (Time of Flight)-3D-Kameras, die wir weltweit erstmals mit einer Safety-Zertifizierung auf den Markt gebracht haben. Die Lösungen von tofmotion erfassen Situationen und Räume ganzheitlich und in Echtzeit und können so Maschinen gleichsam „Augen geben“. Räumliche Wahrnehmung ist eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für eine fortschrittliche Mensch-Roboter-Kollaboration.

Welche Einsatzszenarien ergeben sich hier? 

Die Lösung spotguard überwacht mithilfe einer speziellen Software einen individuell definierbaren Raum. Das kann zum Beispiel ein Schutzbereich rund um einen Roboter sein. Als Innovationstreiber bieten wir hier ein Produkt, das den herkömmlichen Sicherheits-Sensoren überlegen ist. Darüber hinaus arbeiten wir an einer Software zum sicheren Einsatz von automatischen Transportfahrzeugen und mobilen Robotern beiträgt. moveguard, so der Produktname, kann dynamisch auf Hindernisse reagieren und bietet weitere wichtige Funktionen zur Unfallvermeidung. 

Derzeit arbeiten Sie verstärkt im Bereich 3D Simulation und sind dabei auch in zwei Forschungsprojekte involviert. Welche sind das? 

Das ist richtig. Wir beteiligen uns, gemeinsam mit der Universität Innsbruck, am LIGATE-Projekt, welches durch das europäische Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 gefördert wird. Zusätzlich befinden wir uns im Prozess der Antragsstellung für ein Projekt mit der Technischen Universität Wien, das 2022 starten soll. Diese Forschungsprojekte sind für uns so wichtig, da wir für die Simulationen auf große Rechenkapazitäten angewiesen sind und im Rahmen der Projekte Zugriff auf Supercomputer haben. 

Und warum arbeiten Sie generell an Simulationen? 

In allen Produkten von tofmotion geht es grundlegend um safety. Unsere Lösungen können zum Beispiel vermeiden, dass Roboter bei ihrer Arbeit Menschen gefährden oder Fahrzeuge unkontrolliert in Gegenstände fahren. In der mobilen Robotik gibt es unzählige Szenarien, die wir bei der Entwicklung unserer Produkte berücksichtigen müssen. Nehmen Sie zum Beispiel die AGVs: Sie fahren vollautomatisiert in Lagern. Vollbeladen sind sie schwer und erreichen vergleichsweise hohe Geschwindigkeiten. Damit von dieser Wucht keine Gefahr ausgeht, müssen vielfältige Situationen durchgespielt werden: Schmale Einfahrten, oder die Begegnung mit einem anderen Fahrzeug zum Beispiel. Auch die Interaktion mit Menschen gehört dazu. Und was, wenn der Boden nass und rutschig ist, der unvorhergesehene Hindernisse im Weg stehen? All diese Szenarien müssen wir bei der Entwicklung unserer Sensorik auch noch in Kombination mit den Umweltbedingungen beachten, um dieser Komplexität gerecht zu werden. Das bedeutet heute noch: Testen, testen, testen. Für die Zulassung eines voll automatisierten Fahrzeuges sind 200 Millionen Testkilometer gefordert . Das ist aufwändig, teuer und auch gefährlich, solange die Lösungen noch nicht zertifiziert sind.

Und hier kommen Simulationen ins Spiel? 

Richtig. Wenn wir die Tests zumindest teilweise über Simulationen abwickeln könnten, wäre das eine große Erleichterung und eine qualitative Verbesserung: Denn man schafft es in normalen Testumgebungen realistisch nicht, alle kritischen Szenarien durchzuspielen. Hier fehlt im Übrigen auch der Zufall, der sich aber über Simulationen abbilden lässt zum Beispiel, dass ein AGV ganze Regale niederfährt. Nicht zuletzt lassen sich Unfallszenarien simulieren, ohne dabei Menschen in Gefahr zu bringen. Und natürlich lassen sich Simulationen ohne viel Aufwand wiederholen. Auch die Gesetzgeber eröffnen Möglichkeiten sich hier ergeben. So regelt die Norm IEC TS 62998-1:2019, dass man klassische Tests durch Simulationen ergänzen bzw. ersetzen kann. Diese Möglichkeit wollen wir gerne nutzen.

Wie geht man bei den Simulationen vor?

Zunächst muss man die Umgebung darstellen, in der die jeweilige Simulation stattfinden soll, also zum Beispiel eine Logistikhalle. Dies geschieht über eine zuvor aufgenommene 3D-Punktewolke, die man in den digitalen Zwilling einspielt. Somit liegt ein dreidimensionales Bild der Realität vor, auf dessen Basis man die Simulation laufen lassen kann. Das AGV verhält sich dann so, als hinge es an einer echten Kamera. Natürlich könnte man auch ein CAD-Modell der Umgebung einspielen. 

Und wo stehen Sie in der Entwicklung?

Wir arbeiten seit zwei Jahren daran, einen digitalen Zwilling unserer Kamera zu erstellen. Das ist sozusagen ein virtuelles Softwaremodell, das im Computer läuft, sich aber physikalisch und algorithmisch wie unsere 3D ToF-Produkte verhält. Das hat vorher noch nie jemand so detailgetreu gemacht, bei diesem Sensortyp sind wir absolute Frontrunner. Dazu muss man wissen, dass unsere Kameras über Laserdioden IR-Licht aussenden und damit das Umfeld wie ein optisches Radargerät abtasten und erfassen. Deshalb geht es grundsätzlich um eine Simulation der Mehrwege-Lichtausbreitung. Bei diesem physikalisch sehr komplexen Vorgang kohärieren viele Faktoren wie Laserlicht und Intensität, Optik und Brechung, Objekte und deren Remission, etc. Daher werden derzeit noch große Rechenkapazitäten benötigt. 

Hier kommen die Forschungsprojekte ins Spiel? 

Korrekt. Das Projekt LIGATE beschäftigt sich grundsätzlich mit dem Thema Medikamentenentwicklung. Auf den ersten Blick also nicht unbedingt ein Bereich, bei dem tofmotion ins Spiel kommen müsste. Auf den zweiten Blick aber schon: Denn interessanterweise gibt es bei der Wirkungssimulation von Medikamenten viele Überschneidungen mit der Simulation der Lichtausbreitung, mit der wir uns ja befassen. Die Middleware ist bei beiden Use Cases ähnlich, so können wir alle von der Interdisziplinarität profitieren. 

Das Projekt mit der Technischen Universität Wien hingegen zielt konkret auf unser reguläres Anwendungsgebiet ab: Hier geht es um eine Logistiksimulation mit AGVs. Wenn das Projekt genehmigt wird, können wir Anfang 2022 starten. Ende nächsten Jahres sollten uns dann die ersten Modelldaten vorliegen, um den digitalen Zwilling befüllen zu können. 2023 wollen wir genug Daten gesammelt haben, um mit konkreten Ergebnissen an die Zertifizierungsbehörde heranzutreten.

Könnten Sie sich vorstellen, die Simulation auch anderen Unternehmen zur Verfügung zu stellen? 

Unser primäres Ziel ist es, unsere safety Lösungen schneller zu zertifizieren und somit die time2market der tofmotion Produkte zu verkürzen. Wir können uns aber durchaus vorstellen, die Simulationsdaten des digitalen Zwillings in einem zweiten Schritt Herstellern von AGVs zur Verfügung zu stellen, damit sich auch deren Testaufwand reduziert. Wir sind überzeugt, dass die Simulation über einen digitalen Zwilling das Vorgehen ist, dass sich in Zukunft bei Zertifizierungen durchsetzen wird. Diese Vision verfolgen wir durchaus auch mit dem Ziel, unsere Kund:innen und Partner:innen davon profitieren zu lassen. 

Kontakt

tofmotion GmbH
Softwarepark 26
4232 Hagenberg
www.tofmotion.com


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